Sievert Karsten Frank

Leseprobe 2

"Wie ist denn die Wunde entstanden? Und wie lange hast Du sie schon?"
Er musste nachrechnen. Mindestens acht Tage lief er jetzt schon mit dem brandigen Mal am Unterschenkel herum. "Auf einem Hof bat ich um frisches Wasser und ein Stück Brot. Das heißt, ich wollte darum bitten. Aber der Hofhund sprang aus der Tür und fasste nach meinem Bein, ehe der Hausherr ihn zurückrufen konnte. Es blutete nur wenig und der Bauer gab mir ein Stück Stoff, das ich darum wickeln konnte. Er hat mir auch zu essen und zu trinken gegeben. Aber die brandige Wunde blieb mir als Erinnerung an den Weiler. Sie blieb auch weiter und verkleinerte sich nicht. Die Ränder sind matschig und gelb geworden. Sie wollen einfach nicht heilen."
"Ich werde versuchen, die Wunde zu behandeln." Sie wickelte sanft und doch mit Bestimmtheit das Bein aus und roch an der Wunde. Wenn er in dem Halbdunkel es richtig beobachtet hatte, erschrak sie beim Anblick der Verletzung. Ja einen Moment glaubte er, sie zittern zu sehen, als ob etwas Eisiges mit krallenden Fingern nach ihr gegriffen hätte. Dann aber holte sie entschlossen Luft, wurde wieder ruhiger, wickelte mit ein paar zerstoßenen Kräutern einen neuen Stofffetzen um die Wade und warf den durchtränkten Rest in das Feuer.
"Wunden müssen immer sauber und frisch verbunden werden. Das alte Zeug macht sie nur immer wieder aufs Neue krank! Es wird nicht so einfach sein, die Wunde zu behandeln, die der schwarze Hund gerissen hat." Sie seufzte. "Wir wollen es aber versuchen."
Jetzt wo sie es aussprach, erinnerte er sich auch. Der Hund, dieses riesige Vieh, war wirklich schwarz gewesen. Schwarz ohne weiße Abzeichen. Susanna wusste anscheinend doch mehr, erfuhr doch mehr, als andere Menschen. Er hatte ihr gegenüber ja noch gar nicht von der Farbe des Tieres gesprochen.
Sie schien zu überlegen und zögerte offensichtlich. "Alles, was Du jetzt sehen wirst und alles was Du hören wirst, soll streng unter uns bleiben. Das ist nichts für fremde Ohren. Eigentlich nicht einmal für Deine! Wenn Du davon sprichst, wirst Du nicht mehr lange leben. Das ist keine leere Drohung. Und ich muss Dir noch viel eindringlicher sagen, wenn Du darüber redest, wird es Dir ewig schaden" und sie fügte leise, wie voller Bangen und auch traurig hinzu "und mir!" Als ob sie wüsste, dass sie unweigerlich eines Tages darüber in einen bodenlosen Abgrund fallen würde, als ob sie im Angesicht des Himmels und mit einer Sehnsucht nach dem Lichten in der Höhe über eine knorrige Wurzel an einer Felskanzel in die Tiefe stürzen würde. Und sie seufzte noch einmal fast tonlos: "Und mir!"
Susanna trat aus dem Haus und legte die Fensterläden vor die kleinen Butzenscheiben. Dann schloss sie sorgfältig die Tür und legte von innen den hölzernen Riegel vor. Geschäftig holte die Frau nun mehrere Krüge und drei grob gewebte Beutel mit Kräutern herbei, brach noch etwas Holz und fachte das Feuer neu an. Eine Kerze, die auf dem Tisch gestanden hatte, löschte sie aus und bat Anselm aufzustehen.
"Ich sage noch einmal: Zu keinem ein Wort. Und sprich auch jetzt kein Wort, egal was Du siehst. Egal was Du hörst. Du machst Dich sonst endgültig für alle Ewigkeit unglücklich!" Sie ging zweimal, nein dreimal in der Dämmerung langsam im Kreis, hob die Arme und breitete sie aus, verneigte sich in Richtung auf die Esse und blieb dann stehen. "Komm her zu mir". In der Dunkelheit zog sie ihn in die Mitte des Raumes und nur die schwache Glut auf dem Herd zeigte ihm die Richtung.
Ein paar Zweiglein begannen zu glühen und kleine Flammen an ihnen empor zu lecken. Das Flackern nahm dadurch zu und Anselm konnte Susanna wieder schemenhaft erkennen. Sie murmelte Worte, die er nicht verstand. Dann erhob sie ihre Stimme, wie um ihn in den Zauber einzubeziehen.